Alltags-TschoK |
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Bunte Pfeile an der Wand, oder: Agentur für Irre Aufgrund der geplanten Wechsels vom Angestelltenverhältnis ins zumindest anfänglich staatlich geförderte Freiberuflertum war ich das erste Mal beim Arbeitsamt. Sorry, ich meine natürlich: Bei der Agentur für Arbeit! Nicht dass ich die Bemühungen unserer Oberen, den Linoleumcharakter deutscher Amtsstuben durch moderne Begriffe aufzuwerten, einfach ignorieren möchte. Aber es ist schon etwas merkwürdig, wenn man vor dem goldenen Schild mit dem Vogel drauf steht, sich überlegt, was das eigentlich assoziieren soll (Es ist nicht alles Gold, was glänzt? Wer hoch fliegt, fällt tief? Pleitegeier DeLuxe?) und dann den Schriftzug "Agentur für Arbeit" oder auch "Bundesagentur für Arbeit" gedanklich auf weitere Ämter, Anstalten und Agenturen in spe ausweitet: "Ey, Atze, ich muss morgen zur Agentur für Soziales,
kommse mit?" Wie dem auch sei: Da meine festangestellte Tätigkeit in den nächsten Wochen Vergangenheit wird und ich ins Freiberuflertum wechsele, muss ich das Arbeitsamt - sorry: Die Agentur für Arbeit - darüber informieren, dass ich "von Agenturlosigkeit" - ich meine natürlich: "von Arbeitslosigkeit bedroht bin". Obwohl eigentlich beides zutrifft. Egal. Erst einmal tief Luft geholt und herein ins moderne Bürokratievergnügen. Sofort fällt mir die wirklich intuitive Benutzerführung ins Auge. Riesengroße bunte Pfeile führen in alle drei bürokratischen Himmelsrichtungen (die vierte Himmelsrichtung - der Ausgang - ist konzeptionell generell nicht vorgesehen) und ein großes weißes Schild schickt alle Informationssuchenden Frischlinge und Hartz-Vierlinge in einen großen Raum mit drei Schaltern, von denen nur der Mittige besetzt ist. Über diesem hängt ein grellbuntes Schild mit der Aufschrift "Information hier". Eine außerordentlich wertvolle Information, sonst hätte ich erst einmal zwei Stunden vor den beiden leeren Schaltern gewartet. Am Infoschalter sitzt das Prachtexemplar eines Pförtners schlechthin.
Der Acme-Pförtner sozusagen. Genau der Pförtner, den Kinder
mit Wachsmalstifen malen, wenn man ihnen sagt: Mal mir mal nen Pförtner
im Arbeitsamt - sorry: Bei der Agentur für Arbeit. Ich schaue mich ängstlich um und flüstere leise und im besten
Sesamstraßenstil: Da ich die Erfahrung gemacht habe, dass man als Schwerbehinderter im Allgemeinen mehr Mitleid bekommt denn als Akademiker, obwohl letzteres oft genug das schwerere Los ist, das größte Mitleid eigentlich den FDP-Mitgliedern zusteht und ich zudem kein Diplom sondern nur einen Magister habe, lasse ich den Informationsangestellten der Agentur für Arbeit glotzen und beschließe, einfach mal dem blauen Pfeil zu folgen. Stur wie John Belushi in der Anfangssequenz von "Blues Brothers" folge ich den blauen Pfeilen... eine blaue Treppe hoch... um eine blaue Ecke... um eine weitere blaue Ecke.. an einer blauen Pflanze vorbei... und stoße irgendwann - den Blick konsequenter Weise auf die Pfeile gerichtet - an eine Theke in blau in einem Vorraum mit blauen Wänden und blauen Steckdosen, hinter der eine Agenturangestellte mit ROTER Bluse sitzt. Unerhört! "Guten Tag, Sie sind hier falsch!" Ich entdecke einen zweiten Schalter, hinter dem eine weitere Informationsangestellte der Agentur für Arbeit sitzt, die immerhin eine blaue Jeans an hat. Zwar im Wischiwaschi-Retro-Style der guten alten 80er, aber egal. Blau ist blau. "Guten Tag, ich werde von Arbeitslosigkeit verfolgt" Ich erhalte ein Formular, in das ich alle möglichen Angaben einfügen soll und das natürlich wie fast immer viel zu wenig Platz für die gewünschten Angaben enthält. Was einen geübten Agenturformularausfüller aber nicht in Verlegenheit bringt, da am Rand des Formulars noch genug Platz ist, um alle Angaben vollständig zu machen. Zudem lässt sich auf diese Art und Weise auch das Erscheinungsbild eines öden Formulars in eine kreative Oase inmitten DIN-genormter Angaben umwandeln, gegen die eine von einer 4-köpfigen Schimpansenfamilie vollgemalte Familienpostkarte einfallslos und langweilig ist. Mein kreativ befülltes Formular wird mit kritischem Blick zur Kenntnis genommen und registriert. Ich erhalte ein paar Formulare im besten Agenturdeutsch und eine "Besucherkarte", die mir 10 weitere kostenlose Besuche in der Agentur für Arbeit ermöglicht. Da wiehert der Agenturschimmel! Meine Frage nach einer Durchsichthülle mit Clip zum Anstecken wird leider ebenso wenig beantwortet wie meine Frage, ob ich beim 10. Besuch einen Bonus bekomme. Humorloses Volk! Da ich nicht einfach und gewöhnlich Arbeitslosengeld einsacken will,
sondern eine staatlich unterstützte Selbstständigkeit anstrebe,
lasse ich mir gleich noch einen Termin mit einem "Arbeitsvermittler"
machen. Die Zeit bis zu diesem Termin vertreibe ich mir am Computerterminal,
wo man sich herrlich in der völlig unintuitiven Navigation der furchtbar
teuren und überhaupt allgemein furchtbaren Website der Agentur für
Arbeit verlieren kann. Mit viel Phantasie und Müh und Not gelingt es mir letztendlich, von den Seiten der Agentur zur Arbeit hin zu einem verlockenden Angebot spärlich bekleideter und attraktiver Nymphomaninnen zu wechseln, welche die triste Atmosphäre der blauen Umgebung schnell in Vergessenheit geraten lassen. Da sich auch eine Mutter mit Kindern im Raum befindet, die verstohlene Blicke auf den Screen werfen, wechsele ich verantwortungsbewusst zur Website eines Anbieters für dekadente Luxusartikel wie Traumwagen, Yachten, Edelnutten, Unternehmensberater und ähnliche Genussartikel, die in der leicht depressiven, hartzgeschwängerten Frustatmosphäre des Arbeitsamtes - sorry, der Agentur für Arbeit - ebenso fehl am Platz sind wie nackte Table-Dancerinnen auf dem heiligen Stein des Wallfahrtsplatzes in Mekka. Während ich in Gedanken noch überlege, ob ich mir vom nächsten Lottogewinn ein Haus auf Fuerteventura, einen Maybach oder den BVB leiste, reißt mich kurz darauf die Stimme meines "Arbeitsvermittlers" aus den schönsten Träumen und bittet mich in sein Büro. Auch der Arbeitsvermittler ist ein echtes Original, an dem Gothic-Freaks und Anti-Depressiva-Produzenten ihre helle Freude hätten. Desinteressierter und gelangweilter kann man einen Job einfach nicht machen, seit es die Bedienung in ostzonalen Restaurants nicht mehr gibt. Nicht einmal die Kunst der Face-to-Face-Kommunikation, die ja zumindest ab und an Blickkontakt voraussetzt, beherrscht dieses lebendige und offensichtlich frustrierte menschliche Büromöbel. Die Informationen, die ich dort bekomme, sind nicht halb so umfangreich und zuverlässig wie die letzten 10 von insgesamt 1.000 Suchergebnisse von Google und ich befürchte, dass eine Selbstständigkeit in Deutschland beispielsweise an einer leeren Kugelschreibermine scheitern kann, weil der Arbeitsvermittler zum Unterzeichnen des Antrages in diesem Fall einen neuen Kugelschreiber besorgen müsste, was es notwendig machen würde, sich von dem offensichtlich mit ihm festverwachsenen Schreibtischstuhl zu trennen und seinen Muskelapparat in Bewegung zu setzen. Aber ich will ja niemanden überfordern. Das nächste Mal nehme
ich wohl doch lieber den roten Pfeil... Diesen
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