Neues vom schraubenden Akademiker ohne Plan  


Sonntag Morgen, oder: Verkehrserziehung für Mantafahrer

Ja, moin!

Diese Geschichte habe ich vor einigen Jahren in einer Kneipe im Ruhrgebiet aufgeschnappt und sie damals stichpunktartig auf einem Bierdeckel festgehalten, der mir letztens im Rahmen einer längst überfälligen Aufräumaktion wieder in die Hände gelangt ist. Die Personen, die diese Geschichte damals erzählten, standen unter relativ solidem Alkoholeinfluß, sodass ich nicht weiß, ob sich das Geschehen wirklich so oder anders zugetragen hat. Aber das ist auch nicht so wichtig. Wichtiger ist das humoristische und pädagogische Potenzial, das sich zart besaiteten Gemütern und Falschparkaufschreibern vermutlich nicht erschließen wird. Dem Rest jedenfalls: Viel Spaß beim Lesen dieser Geschichte, die ich ungefähr so wiedergebe, wie ich sie gehört habe.

Tatort: Irgendwo im Herz des Ruhrgebiets. Zeitpunkt: Irgendwann Ende der 80er Jahre, Sonntag morgens.

6 Uhr. Schichtende! Hatte damals noch bei nem Zeitungsverlag gearbeitet, um mein Studium zu finanzieren und dabei ab und an mal Nachtschicht geschoben. Nach Feierabend also rein in meinen kleinen, unauffälligen, braven VW Polo Diesel. Der nach außen hin zwar unscheinbar aussah, aber dank der fachmännischen Tuning-Maßnahmen von Gmorki abging wie Sau.

6:10 Rein in den Polo, gestartet, und ab nach Hause. Wenig los auf den Straßen. Trotzdem besonnen gefahren, da todmüde und recht hohe Gefährdung durch die Rennleitung, die Sonntags morgens gerne spätheimkehrende Diskobesucher kontrolliert.

6:15 Ich rase mit vollen 40 km/h durch eine Tempo-30-Zone mit anliegender Schule. Zwar ist Sonntags morgens um diese Zeit weniger mit auf die Straße rennenden Teppichflitzern zu rechnen, jedoch umso mehr mit blitzenden Laubfröschen.

6:16 Von hinten nähert sich ein UPO (unbekanntes Proll-Objekt), das durch aufblitzende Scheinwerfer und orange Seitenleuchten seine Kommunikationsbereitschaft signalisiert und entfernte Ähnlichkeit mit einem Opel Manta B aufweist. Zwar sind die Embleme weggespachtelt, aber als alteingesessener Ruhrgebietler erkenne ich den Ruhrgebietsvolkswagen auch in dezent geänderter Version.

6:17 Ein erneuter Blick in den Rückspiegel lässt einen Brunftversuch erwarten, zumal auch eindeutig Brunftschreie in Form einer D&W-Hupe zu hören sind. Da ich kein Spielverderber bin und generell auch nix gegen einen Quickie am Sonntag morgen habe, signalisiere ich freudig meine Brunftbereitschaft durch einen beherzten Tritt auf die Bremse, der Mantaseits durch erneutes Aufblitzen der Scheinwerfer und weitere Brunftschreie beantwortet wird. Juchei, da steht einer freundlichen Vereinigung ja nichts mehr im Wege!

6:18 Doch obwohl ich mit knapp unter 30 km/h weiterschleiche, scheint mein Auspuff nicht lecker genug zu riechen. Na ja, Diesel halt... und wer hat schon Lust auf ne Mischung aus VW/Opel und dann noch Benziner/Diesel? Offensichtlich will sich das sich immer noch tönend und blitzende UPO hinter mir einen neuen Begattungspartner suchen und versucht, mich zu überholen. Was leider durch eine sich Fahrbahnmittig platzierte Verkehrsberuhigungsinsel verhindert wird. Den Verkehrsplanern sei Dank...

6:19 Eine rote Ampel nähert sich. Ich bringe meinen harmlos aussehenden Polo zum Stehen, das UPO nimmt hinter mir Platz. Wir beide signalisieren mit orangen Blinksignalen auf der linken Seite unsere Bereitschaft, die frische Bekanntschaft auf einer 4-spurigen Straße ohne Tempo-30-Einschränkung weiterzuführen. Vielleicht wird ja doch noch was draus...

6:20 Die Ampel zeigt "START". Ich biege links ein und bewege mich sofort auf die linke Spur, was das UPO hinter mir mit freudigen Lichtblitzaktionen und lautem D&W-Lustgeschrei zur Kenntnis nimmt. Doch was passiert? Im Rückspiegel ist zu erkennen, dass das UPO sich jetzt offenbar entschieden hat, mir den Laufpaß zu geben, indem es rechterhand an mir vorbeirauschen will. Aber so schnell gebe ich nicht auf!!!

6:21 Ich gebe Vollgas. Mein geliebter Polo fletscht die Zähne und schießt vorwärts wie von der Tarantel gestochen. Das UPO neben mir ebenfalls. Ich freue mich auf das kurze Wiedersehen des ladenden LKW's, der wie jeden Sonntag morgen ein Stück weiter die rechte Fahrspur blockiert.

6:22 Das UPO hat offenbar noch weniger Lust, den ladenden LKW als mich von hinten zu begatten und steigt im letzten entscheidenden Moment voll in die Bremse. Ich wittere erneute Chancen und winke ihm beim Vorbeifahren fröhlich zu.

6:23 Mein Signal scheint freudig-erregt aufgenommen worden zu sein! Von hinten nähert sich erneut das blitzende, brunftschreie ausstossende UPO. Gewarnt durch den LKW von vorhin traut es sich offenbar nicht mehr, nach Alternativen zu suchen sondern bleibt brav hinter mir, bis zur nächsten roten Ampel, an der es hinter mir hält. Und jetzt wird's spannend!

6:25 Ich sehe im Außenspiegel, wie sich die Fahrertür des UPO's öffnet. Zwei Plateauschuhe erscheinen (diese Bullshitdingens für Männlein und Weiblein zur Beseitigung wachstumsrelevanter Minderwertigkeitskomplexe... wie heissen die nochmal?), begleitet von einer Trainingshose, auf der so ca. alle Muster der Kulturen der Welt der letzten 2000 Jahre abgebildet sein sollen, an die oben bündig eine Lederjacke anschliesst (auf deren Rücken garantiert ein gefährlicher Drache oder auch ein ganz groß geschriebenes "DIESEL" oder "VON MUTTI" steht). Sehr erregendes Outfit! Mehr kann ich leider nicht erkennen.

Da ich gegen einen gepflegten Quickie auf der Straße zwar nichts habe, aber S/M nun wirklich nicht zu meinen besonderen Vorlieben zählt, drücke ich die Türnippel schnellstens nach unten und kurbel das Fenster hoch. Zwar lässt das Outfit der herannahenden Person vermuten, dass diese die komplette Tür mit einem lauten Brunftschrei einfach herausreisst, aber es ist die einzigste Sicherheitsmaßnahme, die mir in diesem Moment einfällt.

6:26 Eine behaarte, betätowierte Hand klopft energisch gegen mein Fenster. Ich schaue hoch und erblicke: Den König der Mantaletten!Offenbar eine nie zuvor gesehene Mischung aus Schwarzenegger (Körperbau), Bohlen (Niveau) und dem Salatblatt, was zwischen den Sitzen vor sich hinschimmelt (Intelligenz). Meine Lust auf einen Quickie wird immer geringer. Ich setze mein freundlichstes Akademiker-Gesicht auf und kurbel mit einem freundlichen Lächeln die Scheibe ein kleines Stück herunter.

6:27 Die alles andere als grazil aussehende Hand greift plöztlich ins Wageninnere und versucht, meinen Hals zu umfassen. Ganz ohne Vorspiel direkt ausse Puschen. Das geht mir jetzt doch etwas zu schnell. Da ich keine große Hoffnung mehr in eine Dekonfrontationstaktik mehr setze, reagiere ich reflexartig: Meine linke Hand dreht die Fensterkurbel mit aller Kraft nach oben, mein linker Fuß lässt die Kupplung knallen und der rechte gibt ordentlich Gas.

6:27 Ein älterer Anwohner, der sich gerade sein Fensterkissen auf die Fensterbank gelegt hat, um die Straße zu beobachten wird Zeuge einer sehr merkwürdigen, ja geradezu skurrilen Szenerie: Übers Kopfsteinpflaster brettert ein grüner VW Polo, an dessen Tür sich ein ludenmäßig gekleideter Orang-Utan festklammert, der sich mit Plateauschuhen (wie heissen die Dinger denn noch) einem Känguru gleich aber nicht halb so grazil in einer neuen olymischen Disziplin - dem motorunterstützten Mehrfachsprung - übt.

6:28 Ich fahre im ersten Gang, mit linker Hand die Fensterkurbel festhaltend, ärgere mich zum ersten Mal darüber, dass ich keine Automatik habe, bin gespannt auf die Kondition des hüpfenden Luden neben mir und beschließe vorsorglich, meinen Polo gleich am nächsten Tag zu verkaufen, um einem zukünftigen und an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeübten Mordversuch an meiner Person zu umgehen.

6:29 Wieder etwas mutig geworden (nach 500 m Hochleistungshüpfen sind wohl keine boxerischen Höchstleistungen mehr zu erwarten) lockere ich rechtzeitig vor der nächsten Ampel die Fensterkurbel etwas. Ein langgezogener Brunftschrei ertönt, ich höre ein lautes Poltern und der auf Plateauschuhen hüpfende Lude ist weg. Im Rückspiegel sehe ich, dass er auf der Mitte der Straße liegt und offentsichtlich eine Erholungspause braucht. Aber er bewegt sich noch! Ich überlege, den Rückwärtsgang einzulegen und die ganze Aktion zu wiederholen. Entscheide mich dann aber doch, nach Hause zu fahren, weil ich Hunger hab.

Tja... Leute... die Moral von der Geschicht: Gewalt bringt gar nix. Macht es lieber pädagogisch. Und Sport am Morgen ist nie verkehrt, oder?

Greetz vom schraubenden Akademiker ohne Plan (und ohne Plateauschuhe - wie heissen die Dinger noch????)


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